Haftpflicht Schaden

Immer wieder passiert es, dass sich jemand aus Versehen auf eine Brille setzt und diese dann beschädigt ist. Meist passiert das beim Besuch eines Freundes oder Verwandten, womit die moralische Verpflichtung, den verursachten Schaden ersetzen zu müssen, verstärkt wird. In der Beruhigung, eine Haftpflichtversicherung zu besitzen, wird eine Schadenmeldung erstattet. Auf heftiges Unverständnis stößt dann die Leistungsablehnung der Versicherung sowohl beim geschädigten Freund als auch beim Versicherungsnehmer (Verursacher)
Will sich die Versicherung aus ihrer vertraglichen Leistungsverpflichtung drücken oder besteht die Ablehnung doch zu Recht? Um dies zu beantworten, ist für uns juristische Laien ein Exkurs in das Schadenersatzrecht aufschlussreich: Aus den verschiedenen Haftungssystemen kommt bei unserer beschädigten Brille, die sich auf der Sitzbankfläche des Freundes unseres Versicherungsnehmers befand, die Verschuldenshaftung zum Tragen, welche im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch normiert ist (§§ 1293 – 1295).
Um die Schadenersatzpflicht unseres Verursachers zu bestätigen oder abzulehnen, müssen vier Punkte geklärt werden:

1. Ist ein Schaden eingetreten und gibt es einen Geschädigten und Schädiger. Dies wird in unserem Fall zweifelsfrei zu bejahen sein, die Brille ist kaputt, der Freund Geschädigter, unser Versicherungsnehmer gilt als Schädiger.

2. Kausalität, d.h., besteht zwischen dem Hinsetzen unseres Versicherungsnehmers und dem Zerbrechen der Brille ein Zusammenhang? Auch dies können wir mit ruhigem Gewissen bejahen.

3. Rechtswidrigkeit – Rechtswidrigkeitszusammenhang Hier haben wir zu prüfen, ob unser Versicherungsnehmer gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen hat. Hier tun wir uns schon erheblich schwer mit der Bejahung. Das Sitzmöbel hat nun einmal die Funktion, dass man sich darauf setzt und nicht, dass darauf Sachen zur Aufbewahrung (wenn auch nur kurz) deponiert werden. Es ist daher nicht zumutbar, daß die Sitzfläche jeweils vor dem „Besitzen“ nach etwaigen Gegenständen abgesucht wird – noch dazu, wenn man zum Hinsitzen aufgefordert wird. Hier wird wohl ein flüchtiger Blick genügen, und da kann ein Gegenstand wie eine Brille schon mal übersehen werden, was jedenfalls keine Rechtswidrigkeit bedeutet. Anders würde es sich verhalten, wenn jemand z.B. eine Tischdecke wegzieht, ohne sich davon zu überzeugen, ob noch Gegenstände am Tisch liegen und unsere darauf liegende Brille dadurch auf den Fliesenboden fiele und beschädigt werden würde. Für unseren Fall der Brille auf der Sitzfläche verneinen wir somit das Bestehen einer Rechtswidrigkeit, womit eine Haftung unseres Versicherungsnehmers nicht gegeben ist. Da aber die Haftpflichtversicherung nur leistet, wenn auch der Versicherungsnehmer leisten müßte, besteht deren Ablehnung einer Leistungserbringung zu Recht. Ihre zweite Funktion, nämlich die der Abwehr von (unberechtigten) Ansprüchen, bleibt selbstverständlich aufrecht. Würde somit der Brilleneigentümer unseren Versicherungsnehmer auf Schadenersatz klagen, müßte die Haftpflichtversicherung für die daraus entstehenden Prozesskosten Ihres Versicherungsnehmers einstehen.

4. Verschulden Dieser Punkt kommt in unserem Brillenbeispiel nicht zum Tragen, da bereits die Rechtswidrigkeit fehlt. Würde man in einem anderen Beispiel auch die Frage der Rechtswidrigkeit und des Rechtswidrigkeitszusammenhanges bejahen müssen, so wäre unter diesem vierten Punkt abzuklären, ob der Schädiger tatsächlich in der Lage war, dieses sein rechtswidriges Verhalten auch zu erkennen. Wenn zum Beispiel ein sechsjähriges Kind aus Lust am Zeichnen mit einem Eisenrohr das neue Auto des Nachbarn zerkratzt, so werden unsere Punkte 1 bis 3 zu bejahen sein. Man wird aber davon ausgehen müssen, dass dieses Kind die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens noch nicht begreifen kann und daher deliktsunfähig ist – eine Haftung somit aus diesem Grunde nicht gegeben ist. Die Leistungsablehnung der Versicherung ist in unserem Fall zu Recht erfolgt. Meine komprimierten und ohne Verästelung (insbesondere im Fall des malenden Kindes) dargelegten Ausführungen sollen zeigen, daß einerseits Verursachung nicht gleichzusetzen ist mit Verschulden, daß andrerseits aber jeder Fall für sich neu betrachtet und bewertet werden muß und – wie die Praxis in unserem Büro zeigt – noch lange nicht jede Leistungsablehnung eines Versicherers tatsächlich zu Recht besteht.